Erika Pluhar - Ich glaub ans Leben. Ein Interview.
Ein strahlend goldener Nachmittag im Oktober. Ein Zimmer in einer Altgrinzinger Villa, efeuverwachsen und liebevoll „Die Huschka“ genannt. Sehr viele Bücher, ein Klavier, ein Hund, der die Besucherin stürmisch begrüßt – und eine „Grande Dame“, wandelbar und vielseitig, die in die Schublade gleichen Namens so gar nicht passen will. Dazu ein Glas Wiener Hochquellwasser, ein Mikrophon und ein verchromtes Kästchen, das den ebenso entspannten wie spannenden Dialog aufnimmt, der sich nun zwischen den Frauen entspinnt. Das Ergebnis ist dennoch ein Monolog – ein dialogischer Monolog, natürlich: weil sich die Fragen der Besucherin auf wunderbare Weise in Erika Pluhars Antworten auflösen.
Lebensprinzip.
Ja, ich erklär‘ das Prinzip meines Lebens gern als Dialog. Das hat nicht nur mit meinen Jahrzehnten der Schauspielerei und dem Theater zu tun, wo es ja immer um Rede und Antwort geht, bei mir steckt sicher noch mehr dahinter. Alles, was ich mache, ist Dialog, alle meine Romane sind dialogisch. Es geht um die Suche nach dem Du. Ich bin überzeugt, dass wir nur über das Du, über die Auseinandersetzung mit dem anderen, zu uns selbst finden können. Dass man sich nur in der Konfrontation, in der Begegnung, im Angenommenwerden, im Zurückgestoßenwerden erfahren kann. Dann auch im Verlust, im Geschenk – ist ja auch eine Zweiheit. Das ganze Leben ist Dualität.
Männer!
Mit Männern ist der Dialog schwierig… sehr schwer, mit einem Mann wirklich ein Gespräch zu führen, das über die Diskussion, über die Allgemeinerörterung hinausgeht. Wenn ich aus meinem Buch „Ist das hier bitte schon die Endstation?“ lese, ein Dialog zwischen einem Mann und einer Frau, sag‘ ich immer vorher: Ich habe mir zwei Visionen schreibend herbeigeholt. Die eine, dass zwei Menschen reifen Alters zu einer Beziehung finden, und die andere – dass ein Mann in der Lage ist, ein so langes Gespräch zu führen! Schallendes Lachen. Auch von den Männern! Es gibt natürlich Ausnahmen, aber… der Mann an sich ist nicht so sehr erfreut, wenn er gefordert wird, sich in einen wirklichen Kontakt zu begeben, der über das Sexuelle hinausgeht, der ein rein seelisch gedanklicher ist; gedanklich geht noch, aber seelisch, uij oje… Ich muss gestehen, dass ich im Laufe meines Lebens immer wieder versucht habe, einen Mann zu so einem Dialog, ich möcht' fast sagen: zu zwingen… man kann schon eine sich bereichernde Bereitschaft erfahren, aber… immer eher nur kurzfristig. Irgendwann geht das Türl wieder zu und – sie wollen lieber ihre Ruhe haben! Auch bei Verlusten ist das so. Ich sprech‘ zum Beispiel immer über meine Tochter, so oft ich kann. Mein Enkel, der sehr unter ihrem Verlust gelitten hat, kann das nicht so gut. Männer, die Verluste erleiden, schweigen lieber. Sie können auch schwer in den Dialog der Erinnerung gehen, der für mich ganz wichtig ist. Auch mit jemandem, der nicht mehr da ist, gibt es einen Dialog des Erinnerns, zum Beispiel mit meiner Tochter. Auch das wird von männlichen Menschen vermieden. Ich dividier‘ das nicht so gern auseinander, wir Frauen und wir Männer - auf den gemeinsamen Nenner leg‘ ich größten Wert.
Paarweise?
Ich wollte immer schon einmal etwas „Paar Weise“ nennen. Wir waren da auf einer Berufsreise, der Antonio D‘Almeida und ich, und ich hab mir überlegt, ich sollte auf jeden Fall was mit ihm machen, im Musikverein, und ich hab‘ doch da eine Menge unveröffentlichter Sachen. Also, wir sind ein Paar, der Antonio und ich – ich les‘ etwas, und er antwortet mit einer Improvisation. Eigentlich ganz lustig, hab‘ ich mir beim Durchschauen gedacht… ja, und nun wird das auch als Buch herauskommen und an diesen beiden Abenden vorgestellt: „Geschichten und Betrachtungen zur Zweisamkeit“.
Schauspielen, schreiben, singen…
… für mich folgt eins ganz logisch aus dem anderen. Als ich in der Schule lesen und schreiben gelernt hab‘, hab‘ ich sofort gelesen und geschrieben; die Möglichkeit, mit Worten umzugehen, war sofort eine Leidenschaft. Das hat mich zum Theater geführt. Doch auch schon als junger Mensch hab‘ ich immer nebenbei geschrieben, ich hab‘ nur erst spät begonnen zu veröffentlichen. Das Musikalische ist auch Inhalt der Schauspielerei; ein Schauspieler braucht ein Gefühl für Musik, Rhythmus, und bei mir hat sich das mit einer Musikalität verbunden, so war‘s auch logisch in das Liederschreiben, Singen, Musizieren zu gehen. Und das Schreiben hat sich zu einer wirklichen Profession entwickelt. Da gibt es wieder zwei Komponenten, ich nenne es das Innern und das Äußern, das Sichzurückziehen beim Schreiben und dann das Hinausgehen auf Bühnen. Da muss ich schon die Balance finden, doch gerade die ist anregend. Andere tun sich schwer mit meiner Vielseitigkeit. Nicht verwunderlich, weil unsere Gesellschaft darauf aus ist, dass nur ja jeder in seinem Schubladl bleibt. Die „Grande Dame des Burgtheaters“ – es muss irgend so einen Titel haben. Dann singt man herbe Wienerische Lieder und ist überhaupt keine „Grande Dame“! Das mögen die gar nicht, im Feuilleton. Dieser abgehobenen L‘Art-pour-L‘Art-Welt ist so was suspekt. Ein Schauspieler soll schauspielen und darf gerade noch eine Autobiographie schreiben. Wir leben in einer Ära des Spezialistentums.
Berühmtsein…
… ist mir irgendwie ganz wurscht. Wenn ich was tu‘, und es kommen Leute und schauen sich‘s an, das schätze ich sehr. Ich weiß schon, dass ich etwas für die Öffentlichkeit tue – aber meine persönliche Berühmtheit… wenn ich im Wienerwald spazieren gehe, und es grüßt mich jemand, dann freu‘ ich mich, aber wenn mich jemand nicht erkennt, bin ich nicht eine Sekunde lang gram! Es stört mich nicht, wenn die Leute mich anschauen, vielleicht, weil‘s mir wurscht ist. Ich hab‘ nix zu verbergen. Und ich glaube auch, dass die Lady Di noch leben würde, wenn sie sich mit ihrem Dodi einfach hätt' photographieren lassen. Es gab schon eine Phase in meinem Leben, wo ich sehr von der Journaille, möcht' ich sagen, gequält wurde, das war, als mein Lebensgefährte Peter Vogel den Freitod gewählt hat. Da standen die vorm Haus und sind vor der Jesserer und mir über die Gräber… Ich hab‘ dann eine diskrete Auswahl aus meinen Tagebüchern herausgegeben. Das hat auch genützt. Wenn man in aller Ruhe ganz offen etwas sagt – dann rennt einem keiner mehr heimlich nach.
Klassische Musik…
… dazu hab‘ ich eine große Beziehung, ohne dass ich jetzt eine Fachfrau bin. Der Antonio ist für mich zum Beispiel ein ganz großer Komponist der klassischen Moderne. Das weiß man in Portugal, aber weil er ein typischer Portugiese ist, konnte er sich international einfach nicht durchsetzen. Ist ja auch ein großer Mafia-Betrieb, die Klassik. Aber das wird schon, eines Tages. Durch ihn, und wir kennen uns jetzt schon bald dreißig Jahre, bin ich sehr mit klassischer Musik verbunden. Er meint, ich verstünde auch viel davon. Im nächsten Leben möcht' ich schon Musikerin werden. Ich möcht‘ wieder Frau sein – und eine gute Pianistin. Als kleines Mädel, in der Schule, da haben rundherum Mitschülerinnen gejammert, über die Klavierstunden… wir hatten weder ein Klavier noch Geld für eine Klavierlehrerin … und ich hätt's so gern gelernt!
Lieder – maßgeschneidert?
Die Chanson-Sängerin – für mich bin ich das überhaupt nicht. Was wir machen, meine Partner und ich – wir finden oft, dass das in den Bereich der Kammermusik geht. Auch da bin ich nicht einzuordnen. Ganz am Anfang, da hat man mir schon Lieder auf den Leib geschrieben, wo ich mir heute sage, naja… Es ist notwendigerweise dahin gegangen, dass ich die Texte irgendwann selbst schreibe. Ein paar schlichte Kompositionen sind auch von mir. Ich geh‘ so durch den Wald und sing‘ vor mich hin, dann formt sich eine Zeile. Ich krieg‘ auch immer wieder vom Klaus Trabitsch Entwürfe, ich arbeite liedmäßig hauptsächlich mit ihm, da drängt sich eine Zeile auf, die mich interessiert; dann entsteht so ein Lied. Heute, an diesem herrlichen Tag, ging mir seltsamerweise etwas durch den Kopf. Das kann ein ganz wienerisches Lied werden… dass man im Leben viel verliert, bis man sein Leben verliert, dass man sehr viel abgeben muss an Träumen, bis man den Löffel abgibt, dass wir uns immer zusammenreißen, dann reiß ma doch a Bankl, und dann lass ma uns des Leben schmecken, bis ma ins Gras beißen… Wenn mir das zusagt, bastle ich weiter. Das Lied ist nie Lyrik. Meine Texte entstehen nie ohne Musik. Auch wenn hinterher ein anderes musikalisches Konzept kommt, weil meines zu dürftig war – sie entstehen immer singend, immer als Einheit.
Harfen und andere Klänge
Es gab einmal auf einem Schloss eine Weihnachtslesung. Ich lese zu Weihnachten sehr viel eigene Texte, nicht so von Engerl und Christkind, eher solche, die etwas mit den weihnachtlichen Ideen wie Liebe, Menschlichkeit zu tun haben. Da hat man mir gesagt, na ja, es kommt auch eine Harfe… Harfe?!? Und dann die Monika Stadler. Vorbei war's mit meinem Harfen-Klischee, denn diese Frau ist grandios, eine Solo-Harfe erster Güte. So ist die Zusammenarbeit entstanden. Ich lese Texte, sie antwortet. Wieder ein Dialog. Ich mag auch Gitarre. Wenn die Gitarre so gespielt wird wie vom Klaus Trabitsch, in dieser anwesenden und unerhört mitfühlenden Weise, das ist wunderbar; unsere Duo-Abende sind jedes Mal ein reines Vergnügen. Wenn wir diese Lieder vom Himmel und der Erde machen, da hab ich alles gern, was in dem Ensemble vorkommt. Ich hab‘ an und für sich eine große Vorliebe fürs Klavier, aber es ist manchmal zu stark.
Die eigene Stimme…
Man sagt mir immer wieder, mein Gott, diese Stimme und diese Stimme und diese Stimme ist so einmalig – sie ist in mir, ich kann mich nicht von ihr trennen und mich fragen: aha, wie ist denn meine Stimme? Sie ist für mich selbstverständlich. Weil ich auch meine Platten selbst produziere, hör ich mich ja immer. Ähnlich geht's mir mit meinem Gesicht, wenn ich ehrlich bin. Ich mach‘ Filme, wo ich selbst spiele und selbst schneide und ich kann mich sehr von mir abstrahieren. Das hat mir auch sehr gut getan im Älterwerden; ich bin da sehr klar und kaltblütig geworden, da überrascht mich eigentlich gar nix. mehr Ich bin froh, dass ich eine dunkle Stimme hab‘; es gibt so eine Frequenz, da würd‘ ich leiden. Ich hab‘s schon gern, wenn eine Stimmen mir wohl tun. Ich glaub‘ auch, dass sich die Persönlichkeit sehr in der Stimme ausdrückt.
Schmerz oder Glück?
Ich versuch‘, bei dunklen Texten nie außer Acht zu lassen, dass es sich doch mit einer Helligkeit, einer Hoffnung verbindet. Es hat sicher damit zu tun, dass ich das in meinem eigenen Leben auch immer suche, weil ich doch ab und an dazu neigen könnte, ein sehr schwermütiger Mensch zu sein. Ich weiß auch, was Depressionen sind, ich bin nicht depressionskrank, aber – man hat mich auch schon zu Symposien eingeladen, da drüber zu reden; ich kenn mich da sehr gut aus, ohne diese Krankheit zu haben. Wenn man den Menschen, weil das heute in unserer Kulturlandschaft üblich ist, nur das Grauen hinknallt und sagt: „Das ganze Leben ist Scheiße. Wir haben‘s ordentlich bebildert und geschildert, und jetzt geht bitte nach Hause!“ Das mag ich nicht. In meinen Programmen find‘ ich schön, wenn‘s in einem Lied ums Weinen geht und im nächsten ums Lachen. Ich merke, dass man das Publikum sehr schön von der dunklen in die helle Seite führen kann. Nur ins Dunkle hinunter – da bleib‘ ich unten liegen, dann geb' ich auf, und ich hab‘ was gegen das Aufgeben. Eines Tages müssen wir‘s, aber auch das ist eine gewisse lebendige Notwendigkeit.
Leben und Tod.
Ich sag immer, ich glaub‘ einfach ans Leben. „I was net, was i glaubn soll, also glaub i halt ans Lebn, dass das Lichte und die Schatten irgendwo die Hand sich gebn.“ Der Tod meiner Tochter, das war wirklich ein kaum zu schaffender Einbruch… wird auch nie anders. Ich leb‘ schon immer am Rande der Trauer. Und ich weiß nicht – wenn ich nicht so genau gewusst hätt‘, dass mein Enkelsohn, der adoptiert ist, ohne mich niemanden hätte… ich wollte wirklich nicht mehr gerne leben. Aber das Leben ist sehr stark und greift wieder nach einem, wenn man dann die kleinen Tagesschritte bewältigt, einen nach dem anderen. Eine Zeitlang war ich so wie hinter Glas. Erstaunlich für mich war, wie mich dann doch wieder irgendwas gekränkt oder traurig gemacht hat. Erst hab‘ ich mir gedacht, mich kann überhaupt nix mehr wirklich bewegen - aber nein, dann kommt‘s auf einmal wieder, das Leben, und packt einen. Wenn so ein Tag ist wie heute, so ein strahlender Tag, und ich geh‘ spazieren, am „Himmel“ – das sind dann meine Glücksmomente.