Einleitung, in welcher der Gegenstand vorgestellt wird.

Haydn und Mozart Telefonkonferenz

 

 

 

Das finde ich doch großartig, das muss mir erst einmal einer nachmachen!
So lautet Joseph Haydns nüchterner Kommentar auf meine erste Interview-Frage: ob es ihn denn nicht zu Tode kränke, dass er 277 Jahre nach seiner Geburt noch immer als der meist unterschätzte Komponist der Musikgeschichte gelte.


Herr Haydn, nach einer jüngst durchgeführten Erhebung hat Ihr Name immer noch nicht annähernd den Bekanntheitsgrad des Namens Ihres Freundes Mozart, der in aller Munde ist – das muss doch äußerst frustrierend für Sie sein.
Überhaupt nicht, der Wolfgang hat erst kürzlich wieder geklagt, wie sehr ihn das ganze Getue nervt. Um seine Musik geht es ja gar nicht mehr. Du, Joseph, hat er gesagt, du wirst wenigstens um deiner Musik willen geschätzt, bei mir kann man nie sicher sein, ob ihnen meine Musik besser schmeckt oder diese Marzipankugeln.
Herr Haydn, kommen wir zum eigentlichen Gegenstand, den wir hier vorstellen: Die Jahreszeiten – nicht gerade Ihr bestes Werk.
Wer sagt das.
Sie selbst haben das gesagt!
Wer sagt das.
Giuseppe Carpani sagt das und alle anderen auch.
Was genau sagen die, dass ich gesagt habe.
In der Schöpfung singen die Engel und in den Jahreszeiten die Bauern, haben Sie gesagt, sagen die.
Ja, aber ich habe doch nicht gesagt, dass die Bauern schlechter singen als die Engel! Sie dürfen nicht immer glauben, was Ihre Kollegen schreiben, die drehen einem das Wort im Mund um.
Das ist doch alles geschichtlich belegt.
Geschichte ist nur das, was war, und das weiß sowieso niemand. Alles andere hat sich irgendwer ausgedacht.
Herr Haydn, kommen wir zu einer ganz anderen Frage: Wie sind Sie mit der Rezeption Ihrer Jahreszeiten im allgemeinen zufrieden?
Was meinen Sie damit.
Wie Ihr Werk von der Fachwelt aufgenommen wurde.
Das interessiert mich nicht, mich interessieren nur die Zuhörer.
Konkret auf die heutige Aufführung bezogen: Herr Harnoncourt wird oft als kongenialer Interpret Ihrer Musik bezeichnet, würden Sie das auch so sehen?
Auf jeden Fall. Der Nikolaus macht das wirklich gut, finde ich. Ich war bei einer Probe dabei, weil er es unbedingt wollte, das ist sehr witzig, wie er mit den Musikern redet.
Sie meinen seine berühmten Sprachbilder.
Ja, die auch, aber mir gefällt‘s besonders, wenn er nicht eigentlich etwas sagt, und nur Silben verwendet, die aber klanglich einen Sinn haben. Das kannte ich noch nicht von ihm, das ist neu.
Fällt Ihnen dazu ein Beispiel ein?
Ihr machts badabambam-baff! hat er zu den Musikern gesagt, es muss aber badabambam-wau! heißen – und die haben dann wirklich wau gemacht statt baff. Was für ein Unterschied!
Würden Sie sagen, er hat den selben Humor wie Sie?
Einen ziemlich ähnlichen jedenfalls, sonst würde das zwischen dem Nikolaus und mir nicht so gut funktionieren. Wir haben einen magischen Draht. Ich denk‘ mir was und schon macht er‘s. Unglaublich.
Was, würden Sie sagen, ist bei der Interpretation Ihrer Kompositionen am allerwichtigsten?
Der Nikolaus hat gestern in der Probe gesagt: Was ihr machen sollts, steht nicht in den Noten, es ist noch nicht komponiert, es entsteht erst durchs MACHEN. Damit hat er wirklich Recht. Das ist vielleicht das Wichtigste überhaupt, in der Musik.
Herr Haydn, vielen herzlichen Dank für das Gespräch.
Ich bin ja schon froh, dass mich überhaupt einmal wer was gefragt hat.

 

aus: Kapitel IV

Nikolaus Harnoncourt in den Proben zu Haydns Jahreszeiten/Frühling:

 

   V
(Zu Erwin Ortner:)
Ist der Chor fertig getopft?

(Nr. 1, Einleitung und Rezitativ, „mit grässlichem Geheul“:)
Es ist gut. Aber es ist nicht grässlich!

(Rezitativ, 240 ff., nach „…durch laue Winde sanft gelockt“:)
Das Schönste überhaupt. Ein kleiner Almsee, mit Cumberlandsauce gefüllt.

(Rezitativ Ende:)
Machts da kein Privat-Ritenuto, da ist kein Abschluss, der Frühling geht weiter!

(Nr. 2, Chor des Landvolks:)
Der Haydn hat ein Jahrhundert übersprungen: Wir sind mitten in der Romantik.

(27 ff., „O komm, holder Lenz, des Himmels Gabe, komm“:)
Da stehts ihr schon mit einem Fuß in der Frühlingswiese.

(44 ff., Frauenchor „Er nahet sich, der holde Lenz“:)
„Das muss viel geheimnisvoller sein. Stellen Sie sich vor, der Lenz ist jemand bestimmter… zum Beispiel (deutet auf den Konzertmeister) – der Erich?

(62 ff., Männerchor, „Frohlocket ja nicht allzufrüh…“:)
Singts das bisschen gemein. Stellts euch vor, ihr seits Wintersportler – die sind natürlich gegen den Frühling.

(80 ff.:)
Sehr schön, aber es klingt wie zum Mitschreiben – es soll zum MitFÜHLEN klingen!

(88, „O komm“, sforzato auf „O“:)
Sie müssen hier ganz viel Auftakt zu Nichtsoviel machen – das ist typisch wienerisch. Der Schubert hat das auch oft gemacht.

(Nr. 4, Bass-Arie, „in langen Furchen schreitet er dem Pfluge flötend nach“:)
Wir zersageln das Piccolo, gegen zehn Geigen hat das überhaupt keine Chance.

(130, „…dem Pfluge flötend nach“:)
Pfeifen!

(Nr. 5, Rezitativ, „…und fleht darum den Himmel an“, letzte Akkorde im Continuo:)
Bisschen unfromm, wenn ich was sagen darf.

(Nr. 6, „Sei uns gnädig“:)
Ein sehr feierliches Gebet.
 
(19 ff., „nun träufe Segen“:)
Es geht hier um den Segen und nicht um den Text.

(20:)
Ihr habts ein Flascherl, wo genau 16 Tropfen Segen herausträufeln.

(30 f., Triolen in den Geigen:)
Dabida-dabida-dabida.

(56 ff., „Lass deinen Tau die Erde wässern“:)
Bitte versuchts doch TAU! Was ihr da spielts, das sind Meteoriten. Oder TAUbeneier.

Celli und Bässe, machts bitte einen Flaumteppich.

Und das Kontrafagott ist die Erde.

(59 ff., zu den Streichern:)
Es ist schade, wenn wir da was rumfrisieren.

(66, Geigen-Triolen:)
Dudada-dadada-daaa!

(Zum Chor:)
Im Tempo bleiben! Eine Fermate ist ja keine Autoverkehrstafel.

(74, Fuge „Uns sprießet Überfluss“:)
Jetzt sind wir 50 Jahre früher, fast im Barock!

(Nr. 8, 65 ff., „Seht die Wiese“:)
Eine sehr genau gemalte Wiese.

(82, Alteinsatz „O wie lieblich“)
Ein Licht anzünden!

(Sopraneinsatz auf dem hohen f:)
Bitte leiser anfangen. Ich weiß, ich weiß, das tut man nicht gern, weil es ein lauter Ton ist.

(88 f., „Lasst und wallen“:)
Das ist nicht mehr lieblich, richtig losjodeln!

(99:)
Weben, weben!

(107, „alles schwebet“:)
Bitte machts kein solches Gerumpel da unten.

(112 ff., „Seht die Lämmer“:)
Das ‚Bääh‘ machen die Bläser.

(119, Sechzehntel in den Geigen:)
Badldidadam.

(133 ff., „Welche Freude, welche Wonne“:)
Seit dem Bestehen der Welt ist das so: Frauen wollen tanzen, Männer wollen saufen. Ja, Männer wollen verschiedene andere Sachen auch, aber… tanzen wollen sie NICHT. Sie haben sich nur aus zwielichtigen Gründen dazu überreden lassen. Das muss man hören!

(155 f., „Lasst uns ehren“:)
Klingende LUFT!

(Fugenthema „Ehre, Lob und Preis sei dir“:)
Singts weich, aber knackig.

(240:)
Prickeln! Plus zwei Ampullen Adrenalin!

(259 f., „gütiger Gott“, punktierte Achtel:)
Fesch! Das hat so einen richtig haydnischen Humor.

(262, Sechzehntel in den Geigen:)
Hudelts da nicht drüber!

(271, Choreinsätze:)
Lauter kleine Explosionen.

(292 f., „ewiger Gott“:)
Eine lange Note ist kein Fertigprodukt, die muss ein Innenleben haben!

 

 

 

 

(Leseprobe aus: Sabine M. Gruber, Mit einem Fuß in der Frühlingswiese. Ein Spaziergagn durch Haydns Jahreszeiten mit Sprachbildern von Nikolaus Harnoncourt.)

 

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